Warum es für angehende Berufsmusiker neben den momentanen Rahmenbedingungen der "Sport- und Kunst-Ausbildung" (SKA) vermehrt gute und aufrichtige Bezugspersonen braucht.
Ich erinnere mich noch gut an den Herbst 1998: Gleichzeitig mit dem Eintritt ins dritte Schuljahr am Kollegium St. Michael nahm ich am Konservatorium Genf das vierjährige Studium zum Orchesterschlagzeuger auf. Damals war vieles anders: Es brauchte noch keine (gymnasiale) Maturität, um an einer Musikhochschule zugelassen zu werden, an den Kollegien seinerseits gab es noch keine Maturaarbeit und kein Ergänzungsfach, an die doppelte Kompensation ab dem dritten Jahr kann ich mich auch nicht mehr erinnern. Auch hatten meine Eltern wahrscheinlich andere Dinge zu tun, als vor Gericht die bestmögliche (finanzielle) Ausbildung für mich erwirken zu lassen. Kurz und gut: Was folgte, war eine sehr intensive, aber schöne Zeit des Übens, zu Beginn bis zu drei Stunden am Tag, nach der bestandenen Matura bis zu sechs Stunden täglich. Die Hausaufgaben habe ich jeweils im Zug nach Genf gemacht, die Wochenenden waren meistens verplant. Dem Sportunterricht durfte ich fern bleiben, für den Unterricht und die Orchestertage in Genf konnte ich mich vom Schulunterricht dispensieren lassen. Die (nicht gerade kleinen) Kosten für beide Ausbildungen trugen meine Eltern, einen (kleinen) Teil konnte ich durch meine Tätigkeit als Schlagzeuglehrer an der Musikschule Giffers-Tentlingen beitragen. 2015: Heute gibt es im Kanton Freiburg die „Sport- und Kunst-Ausbildung“, welche die nötigen Rahmenbedingen für die beiden oben genannten Ausbildungen schaffen soll. Besonders talentierte junge MusikerInnen kommen in den Genuss von schulischen Erleichterungen, um genügend Zeit für das Üben zu haben. Es ist wahr: Mit dem Stundenplan und den Anforderungen der gymnasialem Maturität bleibt den heutigen Jugendlichen bisweilen weniger Zeit, um beiden Ausbildungswegen gerecht werden zu können, auch haben die Studierenden natürlich viel mehr Bedürfnisse und Ablenkungen als wir dazumal. Ich erinnere mich hier an eine Begegnung mit einem der momentan bekanntesten Marimbisten der Schweiz, welcher mir zu diesem Problem riet: „Bei zeitlichen Engpässen lasse nie das Üben sein, verzichte lieber auf den Ausgang – oder die Theoriekurse am Konservatorium.“ Nun, das kann ein möglicher Ausweg sein. Das Dilemma scheint programmiert: Das Konservatorium hat ebenso seine Anforderungen an die SchülerInnen wie das Gymnasium – mittendrin können die Bedürfnisse des Jugendlichen mitunter etwas unter gehen. Es ist aber unbestritten, dass das Gymnasium die Aufgabe hat, allen SchülerInnen die selben Kompetenzen und Inhalte beizubringen, welche sie berechtigen, an einer weiterführenden Hochschule zu studieren. Es kann nicht weiter nicht sein, dass der Kanton Freiburg sich (zusätzlich zum Gymnasium) finanziell an anderen Ausbildungswegen beteiligt, wenn das Niveau (wenn auch nicht die Ausbildung) im Kanton Freiburg gleichwertig zu sein scheint. Den vielversprechendsten musikalischen Hoffnungen ist der Kanton bei der finanziellen Unterstützung ja weiterhin behilflich. Es muss – bei allen Träumen der Beteiligten – aber auch eingesehen werden: Es kann und muss nicht aus jedem jungen Talent eine neue Anne-Sophie Mutter, einen Pavarotti oder einen Gustavo Dudamel geben. Dies versuche ich Maturanden, welche völlig aufgelöst von einer nicht bestandenen Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule sprechen, mitzugeben. Und wenn ich sie nach einem Plan B frage, so ist oft "Musiklehrer" die Antwort. Als ob hier die Stellensituation viel besser wäre! Was es also vermehrt braucht, sind - neben den momentanen Rahmenbedingungen - aufrichtige (Musik-)Lehrpersonen und Bezugspersonen für unsere Jugendlichen, die nicht nur an vollen (Vor-)Berufsklassen, sondern an Qualität und vor allem an der Zukunft ihrer Zöglinge interessiert sind. Mentoren, die auch einsehen, dass das Musikerleben kein Zuckerschlecken ist, und nicht die ganze Welt auf ihre 23 Trompeten, 48 Querflöten und 5 Schlagzeuger gewartet hat. Hervorragend ist hier also die Möglichkeit für unsere Studierenden, dass wenn der eingeschlagene Weg zum Berufsmusiker nicht der richtige war, sie immer noch die Möglichkeit haben, mit der Matura eine andere Ausbildung zu machen. Im Hinblick auf die angespannte Stellenlage im künstlerischen Bereich ist dies nicht zu unterschätzen, was ich aus eigener Erfahrung feststellen konnte (und übrigens immer noch feststellen kann). Unser Erziehungsdirektor hat auch Recht, wenn er den Jugendlichen aufzeigen möchte, dass es „noch anderes als Sport (bzw. Musik) gebe.“ Weil dies oft schwierig ist, braucht es auch hier Lehrpersonen, die neben den Eltern die Jugendlichen begleiten und ihnen eben auch andere Berufswege aufzeigen – auch wenn dies manchmal eine Sisyphos-Aufgabe sein kann. Abschliessend sei mir eine andere Feststellung eines weltweit bekannten Vibraphonisten (und ehemaligen Mentors) erlaubt, wir sind zurück im Jahr 2000: „Schweizer Musiker sind es gewohnt, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen oder sie von ihren Eltern aus dem Weg räumen zu lassen. Mit dieser Einstellung werden sie es in Zukunft nicht weit bringen: Die Konkurrenz aus dem Osten Europas und dem fernen Osten ist einfach zu gross und diese ist es gewohnt, für ein Ziel immer wieder und wieder zu üben und zu arbeiten.“ Ich denke, dass die anspruchsvolle Anlage unserer SKA den Studierenden genau solche wichtigen Kompetenzen vermitteln kann: Organisationsfähigkeit, Fleiss, Ausdauer und (Selbst-)Disziplin – ohne eine Tiger Mother zu sein – wichtige Fähigkeiten, um im späteren (Musik-)Berufsleben erfolgreich sein zu können. Ich wünsche allen Eingeschriebenen hier viel Erfolg und Genugtuung.
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Dezember 2022
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