Wie alle Jahre bedeutet unterrichtsfreie Zeit ja glücklicherweise immer auch Lese-Zeit und bevor es wieder an die Schullektüre geht, darf man als Lehrperson im Sommer immer wieder getrost zu Büchern greifen, die in der Schule nicht gelesen werden (sollten). Die vorgenommenen "Klassiker" wie "Maria Madgalena", "Hiob" etc. blieben in diesem Sommer NICHT auf der To-Do-Liste, mussten aber (wie fast alle Jahre) Krimis Platz machen.
-- "Böses Blut", "Misterioso", "Falsche Opfer", "Tiefer Schmerz", "Rosenrot", "Ungeschoren", "Totenmesse", "Dunkelziffer", "Opferzahl" und "Bussestunde" (A. Dahl). Über 5000 Seiten Dahl liessen die Schule vergessen! Auch wenn einige Zusammenhänge konstruiert wirken, so kann fast jeder Band mit Spannung, interessanten Figuren und vielen Erzählebenen aufwarten. Intelligente Kriminallektüre, welche Probleme und Brandherde der 2000er Jahre thematisiert: Prostitution, Drogen, Öffnung Europas, Aufarbeitung des 2. Weltkriegs, Überwachung, Irak-Krieg und und und. -- "Der Kampf um den Diamantenthron" (J. di Nicola). Als Maturaarbeit konzipiert und als Geschenk für die Sommerferien ein ordentlicher Einstieg in die Schriftstellerkarriere. Gute Fantasy mit Liebe für die (sprachlichen) Details und Figuren. --- "111 Gründe, Lehrer zu sein" (D. v. Horn): Das Geschenk meiner Maturaklasse zeigt, warum unser Beruf ein toller ist. Vor allem die Gründe "Der Lehrer ganz privat" lassen einen mehr als schmunzelnd zurück. --- "Würste der Hölle", Übelsetzungen (Langenscheidt): Das dritte Geschenk kann mit Sprachpannen aus aller Welt aufwarten. Ganz tolle Lektüreerlebnisse mit "Zertrampelter Lachs", "Emperor's Nonsense" und "Nicht zu kriechen" (Do not climb). --- "Deutsch unterrichten" (T. v. Brand): Nach 14 Jahren Unterrichtstätigkeit kann es nicht schaden, sich wieder einmal mit den "Basics" des Deutschunterrichts zu befassen. Schön ist, wenn man nach der Lektüre merkt, dass man durchaus "à jour" ist. -- "Passagier 23" (S. Fitzek). Wie jeder Fitzek spannend und mit Gruselfaktor. Die Wendungen sind lesenswert, der Schluss leider etwas vorhersehbar. --- "Mimili" (Clauren). Auch als Schullektüre geeignet, wobei das idyllische Berner Oberland und die allzu gute Hauptfigur etwas nerven können. --- "Hiob" (J. Roth): Das Werk zeigt, warum es zum Kanon der Schullektüren gehört: Angenehm zu lesen, viele historische und intertextuelle Anspielungen und eine Figur, die ihren Idealen meistens treu bleibt. --- "Die Geschichte von Herrn Sommer". Für Zwischendurch mehr als ok. Die Illustrationen können als gelungene Zugabe aufwarten. --- "Lila, lila": Ein ganz guter Suter, wobei man mit "Die dunkle Seite des Mondes" im Unterricht mehr erreichen und besprechen kann. --- "Maria Magdalena" (F. Hebbel). Entpuppte sich leider nicht als das erhoffte Trauerspiel für die Schule. Zu wenig Spannung und zu viele Leerstellen. --- "Der Menschenfeind" (H.M. Enzensberger, nach Molière): Dafür dieses! Wunderbar komische Adaptation des Dramas von Molière. Hat wohl nichts an Aktualität eingebüsst. --- "Die Apothekerin" (I. Noll): Wäre aufgrund der etwas naiven Hauptfigur und der komischen Ereignisse ebenfalls eine Schullektüre wert. --- "Der Vater eines Mörders" (A. Andersch): Ein Schulbesuch der besonderen Art, welcher zeigt, dass sich die Schule in den letzten 80 Jahren doch etwas verändert hat. PS: Am Montag geht es wieder los und dann werden Schullektüren den Sommer vergessen lassen. Dafür werden hoffentlich interessante Diskussionen den Unterricht erfüllen.
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Pünktlich zum Frühlingsbeginn, könnte man sagen: Der Autor Pedro Lenz war in Freiburg zu Gast und beeindruckte die SchülerInnen mit Wissen, Charisma und persönlichen Anekdoten. (Foto von Julien Loertscher) Der Schweizer Schriftsteller Pedro Lenz las am Kollegium St. Michael aus seinem Werk „Der Goalie bin ig“. 6 Gründe, warum eine solche Lesung für alle Beteiligten immer ein Erlebnis ist.
1) Man erlebt den Autor live und quasi von Angesicht zu Angesicht. Besonders wird die Sache, wenn es sich um einen so charismatischen, humorvollen und erzählfreudigen Menschen wie Pedro Lenz handelt. Die Aula wurde von der lenzschen Aura ganz und gar eingenommen. 2) Man kann den Autor direkt „grosse“ Dinge fragen, so welche etwa die Hauptaussage des Romans ist. Interessant und plausibel ist Lenz’ Erklärung, dass es in erster Linie um das Abschaffen des Rachegedankens gehe. Der Goalie verrät die Namen seiner Kollegen, welche ihn in die Falle gelockt haben, nicht, sondern nimmt die Last und die Sünden als Sündenbock auf sich. 3) Man kann den Autor „kleine“ Dinge fragen, die einem im Werk aufgefallen sind: Warum heisst der Ort Schummertal („Um Mutmassungen über reale Personen und Orte zu vermeiden“). Ob es Parallelen zwischen dem Goalie und dem Autor gebe („Ich bin eher Beobachter des Milieus als direkt Teilhabender“). Wie er die filmische Umsetzung finde und welche Unterschiede es gebe („Die filmische Umsetzung ist gelungen und ich bin sehr zufrieden“). 4) Es gibt Raum für die persönlichen Anekdoten, welche den Anlass auflockern: Wenn er von einem Streit mit einem Häftling in Witzwil erzählt, weil dieser meinte, der Goalie und Pedro Lenz seien eine und dieselbe Figur. Oder wenn Lenz die gleichaltrigen Mädchen beeindrucken wollte, indem er die Bücher las, welche sie gelesen haben. 5) Man kann ihn über den Schreibprozess an sich ausfragen. Dass er etwa in Schottland gelernt habe, auf die Sprache der Menschen zu achten und diesen Sound zu übernehmen oder dass schreiben und lesen für ihn wie „Ein- und Ausatmen“ seien, Aktivitäten, die er zum Leben brauche. 6) Man kann ein Autogramm holen gehen und somit wird das signierte Buch zu einer schönen Erinnerung an die Begegnung mit dem Autor. Diese Aktivität bildet einen schönen Schlusspunkt für den kurzweiligen, aber intensiven und sympathischen Nachmittag. Unterrichtsfreie Zeit bedeutet ja glücklicherweise immer auch Lese-Zeit und bevor es wieder an die Schullektüre geht, darf man als Lehrperson im Sommer immer wieder getrost zu Büchern greifen, die in der Schule nicht gelesen werden (sollten). Die vorgenommenen "Klassiker" wie "Amphitryon", "Maria Madgalena" etc. bleiben leider auf der To-Do-Liste und mussten Krimis Platz machen, wobei Mankell und Wallander die Hauptlektüren des Sommers 2014 waren:
-- "Die Hunde von Riga", "Die weisse Löwin", "Mord im Herbst" und "Mittsommermord" (H. Mankell) Auch wenn die Ermittlungen dann und wann etwas wiederholend wirken, so sind die Wallander-Romane doch unterhaltsam und regen manchmal sogar zu geschichtlichen Recherchen über die Apartheid und die Neuordnung Osteuropas in den 1990er Jahren an. -- "Der Luftgitarrist" (F. Ani) Ein Südenkrimi, der sich evtl. für den Unterricht eignet? -- "Die unterirdische Sonne" (F. Ani) Das Ganze wirkt, obwohl es sich als Jugendroman ausgibt, doch etwas beklemmend: Vier Kinder/Jugendliche werden in einem Keller gefangen gehalten und finden (k)einen Ausweg aus ihrer ausweglosen Situation. -- "Schwarze Piste" (A. Föhr) Ein typischer Föhr: Kreuthner wie immer skurril und der Fall spannend. -- "Silentium" (W. Haas) Komische Szenen und spannender Plot - leider an vielen Stellen etwas (zu) abschweifend... -- "Dunkler Tod - Louise Boni und der Fall Calambert" (O. Bottini) Die Vorgeschichte der Kommissarin Louise Boni in Form einer Kurzgeschichte. -- "Liebeslinien" (M. Lembcke) Auch eine potenzielle Schullektüre, eher für die jüngeren, weiblichen Semester. -- "Böse Schafe" (K. Müller) Passend zu "Das Schicksal ist ein mieser Verräter": In der Wendezeit spielend und mit etwas älteren sich hoffnungslos Liebenden. -- "Der Schneemann" (J. Fauser) Der Mann schafft es einfach nicht, "sein" Kokain an den Mann zu bringen... -- "Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde" (F. C. Delius) Eine schöne Erzählung über die Freiheit - eindrücklicher, wenn man die Lektüre am Tag des WM-Finals beginnt und während der folgenden Tage in Berlin beendet. -- "Noah" (S. Fitzek) Auch dieser Roman kommt nicht an die Augensammler-Bände heran, obwohl der Plot ausgeklügelt scheint, mit der Zeit aber als bereits mal gelesen entpuppt. -- "Der Goalie bin ich" (P. Lenz) Tolles Buch, toller Film und ich freue mich auf die Begegnung mit Pedro Lenz im Unterricht. -- "Er ist wieder da" (T. Vermes) Nicht für jedermann (siehe Amazon-Bewertungen!), für Anhänger schwarzen Humors aber allemal einen Lacher wert. Und natürlich wurden die kommenden Schullektüren aufgefrischt und die einzelnen Unterrichtseinheiten angepasst: "Die dunkle Seite des Mondes", "Der Teufel von Mailand", "Das Parfum" und "In der Strafkolonie". Die timeline der linguista Sprachschule gibt einen kurzweiligen Überblick über Entwicklungen der deutschen Sprache. Unbedingt rein schauen! Zum Lesen, Geniessen (?) und Mit- und Weiterdenken; die Klasse 3d2 (13/14) hat die besten Literatur-Zitate aus Horvaths "Jugend ohne Gott" gekürt:
"Das steht doch bereits in der Bibel, dass alle Menschen Menschen sind." "Es wird immer Werte geben, von denen einige Leute mehr haben werden als alle übrigen zusammen. Mehr Sterne am Kragen, mehr Streifen am Ärmel, mehr Orden auf der Brust, sichtbar oder unsichtbar, denn arm und reich wird es immer geben, genau wie dumm und gescheit." "Sie hassen mich. Sie möchten mich ruinieren, meine Existenz und alles, nur weil sie es vertragen können, dass ein Aussenseiter auch ein Mensch ist. Ihr seid keine Menschen, nein." "Schwarze sind auch Menschen" "Die Männer sind verrückt geworden, und die, die nicht verrückt geworden sind, denen fehlt der Mut, die tobenden Irrsinnigen in die Zwangsjacken zu stecken." "Ich wollte uns alle retten, aber wir waren bereits ertrunken. In dem ewigen Meer der Schuld." "Jaja, nur selten wird einer heilig, der niemals unheilig, nur selten einer weise, der nie dumm gewesen ist." "Wie ein Raubvogel zieht die Schuld ihre Kreise. Sie packt uns rasch." "Für eure Generation war das Weib keine Heilige mehr." "Im Mondlicht drehten sich die Paare. Die Feigheit mit der Tugend, die Lüge mit der Gerechtigkeit, die Erbärmlichkeit mit der Kraft, die Tücke mit dem Mut. Nur die Vernunft tanzte nicht mit." "Wenn der Mensch keine Angst vor dem Sterben hat, wird ihm das Leben leichter." "Nein, das sind keine Fische, das ist kein Hohn, das ist Hass. Und hinter diesem Hass sitzt die Trauer in den finsteren Zimmern." "Jeder, der mein Kästchen anrührt, stribt." "Wir sind alle verseucht, Freund und Feind. Unsere Seelen sind voller schwarzer Beulen, bald werden sie sterben." "Ich bin zwar nur ein Amateurastrolog, aber die Erde dreht sich in das Zeitalter der Fische hinein. Da wird die Seele der Menschen unbeweglich wie das Antlitz eines Fisches." "Das Unglück der heutigen Jugend ist, dass sie keine korrekte Pubertät mehr hat." Zur Abschreckung: "Morgen werden wird schiessen!" "Gott ist das Schrecklichste auf der Welt." Unterrichtsfreie Zeit bedeutet ja glücklicherweise immer auch Lese-Zeit und bevor es wieder an die Schullektüre geht, darf man als Lehrperson im Sommer getrost zu Büchern greifen, die in der Schule nicht gelesen werden (sollten).
Vielleicht entpuppt sich sogar ein Werk ja als potenzielle Schullektüre... -- "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" (J. Jonasson) Der unterhaltsame Schelmenroman ist mein persönliches Highlight des Sommers; unbedingt lesen! -- "Allmen und die Dahlien" (M. Suter) Wie auch der zweite Band kommt dieser nicht ganz an "Allmen und die Libellen" heran. Aber ein kurzweilig Lesen allemal... -- "Inferno" (D. Brown) Viel besser und plausibler als "Das verlorene Symbol". Schön finde ich die Hommage an Florenz. -- Alle drei "50 shades of grey" (E. L. James) Eher Literatur für Frauen, die sich gerne von einem jungen Milliardär verführen und verwöhnen lassen möchten als für meinen inneren Deutschlehrer. -- "Der Chinese" und "Der Tee der drei alten Damen" (F. Glauser) Leichte Krimi-Kost für zwischendurch, die einen nostalgischen Blick ins vergangene Genf und Bern erlaubt. -- "Die Abenteuer der Sylvester-Nacht" (ETA Hoffmann) Ein ordentlicher Hoffmann, vielleicht etwas für die Berlin-Studienreise... -- "Der Graf von Monte Christo" (A. Dumas Vater, Kurzfassung) "Revenge" lässt grüssen (oder umgekehrt?) -- "Die Einsamen" (P. Heyse): Eine potenzielle Novelle für den Unterricht, weil einfach und tragisch. -- "Reitergeschichte (H. v. Hofmannsthal): Auch diese hier, wobei es hier viele und gute Leerstellen gibt. -- "Das Glück in Glücksfernen Zeiten" (W. Genazino): Kommt nicht ganz an "Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman" heran, aber ein guter Blick auf eine gescheiterte Existenz. -- "Wer wir sind und was wir wollen" (P. Riederle) Enthält zwei, drei Texte für eine textgebundene Erörterung und ich bin nicht so weit weg von den Digital Natives, wie ich bis jetzt immer gedacht habe. -- "Die Verlobung in St. Domingo (H. v. Kleist) Eine Einheit zu Kleist dürfte im Unterricht eigentlich nicht fehlen. Spannendes Werk! -- "Mords-Freunde" und "Böser Wolf" (N. Neuhaus) Deutsche Krimis und Thriller (A. Franz, S. Fitzek, O. Bottini, F. Ani ...) sind immer lesenswert! So, die nächsten Lektüren werden wieder "Jugend ohne Gott", "Die dunkle Seite des Mondes" und "Faust I" sein... Rüdiger Safranski beschäftigte sich in der Samstagsausgabe vom TA (6.10.12) mit der Suche nach der Heilkraft des Lesens. Aus seinem Essay lassen sich neben den Ergebnissen dieser interessanten Suche eine Menge an Plädoyers fürs Lesen und die Literatur allgemein entnehmen:
1) Die Kulturtechnik des Lesens ist eine Schule der Einbildungskraft. 2) Lesen fördert und fordert die Aufmerksamkeit. 3) Literatur ist ein Spiel mit Möglichkeiten. 4) Literatur ist dem Leben überlegen. Erfundene Geschichten haben immer einen Sinn, alles hat eine Bedeutung und mögen diese noch so konstruiert, so platt sein. 5) Literatur ist das Ausprobieren von Lebensgeschichten und Lebensmöglichkeiten. 6) Literatur gibt Freiheit zum Lachen; auch dort, wo es nichts zu lachen geben kann. 7) Literatur (wie etwa Goethes "Werther") kann eine Versuchsanordnung sein, die dem Leser zeigt, wie weit man gehen kann, ohne dass dieser Leser den Weg selbst gehen muss. Und zum Schluss mein Favorit ("Lesen statt Prügeln"): 8) Während man ein gutes Buch liest, kann man keinen anderen Unsinn anstellen. In diesen Sinne wünsche ich Ihnen allen erholsame Herbstferien. |
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Dezember 2022
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