„Was muss der Mensch fürs Leben lernen?“ Der letzte „Kulturplatz“ hat sich diesem Thema gewidmet. Ein Einblick in die Sendung und eine mögliche Auseinandersetzung mit dieser.
Ich wollte schon immer einmal einen Blog-Eintrag zum „Kulturplatz“ schreiben (jeweils am Mittwochabend von 22.25 bis 22.50 auf SRF1). Mit der Sendung vom letzten Mittwoch bekomme ich Gelegenheit dazu. Bereits der erste Beitrag dürfte kontroverser nicht sein: derjenige zum Lehrplan 21. Er schliesst mit dem Fazit, dass es von allen Beteiligten wie den Politikern, Eltern, Experten, Lehrpersonen etc. „mehr Gelassenheit“ brauche und dass er lediglich eine „Richtschnur und kein Korsett“ sei. Und damit, dass es nicht in erster Linie einen starren Plan, sondern immer noch „leidenschaftliche Lehrerpersönlichkeiten“ brauche, welche der Schlüssel zum Erfolg für SchülerInnen seien. Im Streit, ob denn nun Kompetenzen wichtiger als Wissen sind, schlage ich als Lehrperson „aus Liebe“ eine pragmatische Lösung vor: Kompetenzen setzen Wissen voraus, ohne Wissen gibt es folglich keine Kompetenzen, die von den SchülerInnen angewendet werden können. Weiter finde ich den Vergleich schön, dass Bildung ein „Horizont und nicht der Weg“ sei. So können viele Schüler im Unterricht etwa Texten und Musik begegnen, denen sie in ihrer Alltagswelt nur bedingt ausgesetzt sind. Lehrpersonen sind so immer auch Kulturvermittler und bilden mögliche Angriffsflächen für eine gemeinsame Auseinandersetzung mit dem kulturellen Gegenstand: „Warum müssen wir Faust lesen?“, „Ich habe nicht gern klassische Musik!“, „Die Inhalte von Nathan der Weise verstehe ich überhaupt nicht.“ Wenn wir gerade bei Nathan sind: Im Zusammenhang mit den Anschlägen auf Charlie Hebdo wird im Kulturplatz Ahmad Mansour porträtiert, ein „Araber aus Israel“. Dieser engagiert sich in Berlin für die Weitergabe von demokratischen Werten an junge Menschen, nachdem er als junger Mann selbst von islamistischen Seelenfängern eine falsche Zuflucht, Akzeptanz und Orientierung erfahren hatte. Das selbstständige und kritische Denken wurde dabei ausgespart. Sein Verdienst ist es, dass Bildung als Aufklärung und das kritische Denken bei „unmündigen Jugendlichen“ gefördert werden. Und auch hier lassen sich Parallelen zur Kultur finden: In seiner Ringparabel gibt etwa der weise Nathan ein mögliches „Rezept“ für das Ausüben der „richtigen“ Religion. Dies, nachdem der Vater in seinem Hause die Tyrannei des richtigen Rings (der anscheinend richtigen Religion) nicht mehr dulden wollte. Die folgenden Verse sollen unkommentiert gelassen werden, könnten aber für viele unkritisch und dogmatisch denkende Fanatiker aller Art zum Leitsatz werden: „Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott zu Hilf'!“ (S. 87, 525-532, Suhrkamp). Ausgehend vom Akademisierungswahn in Europa und der steigenden Maturitätsquote in der Schweiz geht schliesslich der Beitrag zum aktuellen Kino-Film „Frau Müller muss weg“ auf die wahren Urheber der obigen beiden Phänomene ein: die Eltern. Es geht in dieser deutschen Adaptation eines Theaterstücks nicht um die Wünsche und die schulischen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen, sondern eben um die ihrer überengagierten Eltern. Diese wollten eigentlich nur das Beste für ihre Sprösslinge, projizierten mit ihrem Einsatz aber die eigenen Wünsche auf diese. Auch das Fazit der Schauspielerin Anke Engelke kann hier zu mehr Gelassenheit beitragen: „Hoffentlich macht mein Kind (beruflich) das, was es froh macht. Es muss ja kein Atomphysiker werden.“ Mit diesem bunten Panorama zeigte die Sendung über die Bildungsinhalte hinaus mögliche Funktionen von Kultur auf: Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich und mit anderen Menschen, etwa mit den Fragen „Wo soll es auf dem Lebensweg hingehen?“ und „kritisches Denken ist nötig“. Aber auch die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und (kultur-)politischen Themen fehlte nicht. Egal, ob man nun Schüler an der allgemeinen Volksschule oder der Villa Monte ist. Und so ist die Sendung allemal sehenswert. Als Nachlese kann hier - stark verkürzt!- ein etwas älterer, aber viel beachteter Beitrag von Stephen Downes, Senior Researcher des National Research Council of Canada, angefügt werden. Stephen hat zehn Dinge aufgelistet, von denen er meint, dass wir – ob Kinder oder Erwachsene – sie unbedingt lernen müssen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Und ich glaube doch, dass die Schule hier einen wesentlichen Beitrag zum „Lernen fürs Leben“ (oder für das lebenslange Lernen?) leisten kann. 1. Lerne, Konsequenzen vorherzusehen, 2. Lerne lesen, 3. Lerne, wie man Wahrheit und Dichtung auseinander hält, 4. Lerne, Dich in andere einzufühlen , 5. Lerne, kreativ zu sein, 6. Lerne, dich klar auszudrücken, 7. Lerne zu lernen, 8. Lerne, wie du gesund bleibst, 9. Lerne, Dich zu wertschätzen, 10. Lerne, ein sinnvolles Leben zu leben.
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Dezember 2022
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